Sonntag, 10. April 2011

"Critical Mess" im Schauspiel Essen


"Tanz Dich aus dem Kapuzenpulli" überschrieb Sarah Heppekausen ihre Rezension über die Uraufführung von Headspin /Critical Mess für nachtkritik.de und beschrieb mit "Mühen und Abenteuer des eigenen Stils" jenen Balanceact, die jeder Street-Artist absolviert, sobald er ein Theater oder Museum durch den Betriebseingang betritt. Sie trifft den Kern so genau und stimmig, dass ich mich entspannt auf die Bilder beschränken kann.



















Mühen und Abenteuer des eigenen Stils

"Freie Szene trifft auf Stadttheater, Subkultur auf Hochkultur, Breakdancer auf (Ensemble-)Schauspieler, No-Wave-Band auf Opernsänger. Ganz nach dem Motto: 'Perform deine Persönlichkeit!' Selbst Bühnenprofis sind hier Experten des Alltags, des Künstleralltags: Grillo-Schauspielerin Laura Kiehne sinniert über Verweigerungsstrategien ihrer Vergangenheit (Lagerfeuer im Park, Demo am 1. Mai) und kommt endlich zu dem enttäuschend-sinnlosen Schluss, dass sie fest an mehlige Kartoffeln glaubt. Weiter reiche ihr direkter Wirkungsbereich nicht, alles andere "ist total wurscht". Oder Nora Ronge. Fünf Jahre war sie als Tänzerin in einem Ensemble engagiert. Das bedeutete Sicherheit, Stabilität und einen Vater, der sich keine Sorgen machen musste. "Alles lief glatt, glatt, glatt." Dann hatte sie die Routine satt, den immer gleichen Rhythmus. Und jetzt? Genießt sie das Abenteuer. An die Steuererklärung möchte sie noch nicht denken.

Zwischen Gruppenchoreografie und Ausbrechen
Soweit der Text. Aber der zweistündige Abend kann zum Glück mehr. Über Protest und Grenzgängerdasein wird nicht bloß gesprochen, Rebellion wird auch getanzt, und zwar als existenzielle Notwendigkeit. Als verzweifelter Befreiungsakt wie bei Katrin Banse, die sich nicht nur in einem Leben aus Zeitströmungen, sondern auch in ihrem Kapuzenpulli verhakt. Als Verweigerungshandlung zwischen Gruppenchoreografie und individuellem Ausbrechen. Oder als verkrampftes Zerbrechen an vermeintlich stabilen Verhältnissen wie bei Ulrike Reinbott, die ihre zuckenden Glieder genauso wenig kontrollieren kann wie ihre Worte, die sie nur noch als unverständliche Laute aus sich herauspresst.

Und dann gibt es noch diese wunderbaren Vermischungen von Sparten und Szenekulturen. Wenn Opernsänger Pablo Botinelli aus Schuberts "Winterreise" zu Stefan Kirchhoffs Beatboxing singt. Oder Breakdancer Patrick "Two face" Seebacher geschmeidige Körperwellen zur klassischen Klaviermusik schlägt. Das berührt, weil Unbekanntes kombiniert wird, was erstaunlich gut zusammenpasst. Überhaupt entwickelt das Team aus Tänzern, Schauspielern und Musikern eine beeindruckende Ensembleenergie. Jeder macht alles und meistens auch noch richtig gut.

Im Stadttheater angekommen

Der Abend ist dennoch überfrachtet mit Zitaten, vom Hippie-Hair-Musical über Fußballfan-Parolen bis zu den Schock-Rockern Kiss. Die erklären, was der Begriff Subkultur alles umfassen kann. Aber originärer Protest findet auf der Bühne nicht statt. Das ist die Kehrseite der gelungenen Harmonie. Nichts hat den Hauch von Illegalität in diesem subventionierten Raum der Bürgerlichkeit. Keine Spur von Respektlosigkeit, die heute noch provozieren könnte. Der kulturelle Mainstream okkupiert jeden individuellen Stil, das ist die bittere Erkenntnis dieses mal komischen, mal tragikomischen Abends. Youngung "Jeakwon" Sebastian Kim wird doch noch den Headspin zeigen. Und die wilden Mustangs am Ende fast alle matt am Boden liegen. Die Subkultur ist im Stadttheater und auf der Drehbühne angekommen. So richtig wohl ist einem dabei irgendwie nicht."


Headspin Critical Mess (UA)

Ein Projekt von Samir Akika, Anna K. Becker und Sebastian Zarzutzki
Regie: Samir Akika, Anna K. Becker und Sebastian Zarzutzki
Bühne: Gabor Doleviczenyi, Carolin Hanf, Robert Kaltenhäuser, aaron.st
Kostüme: Carolin Hanf, aaron.st, Videografie: Gabor Doleviczenyi, Robert Kaltenhäuser, aaron.st, Dramaturgie: Judith Heese.
Mit: Katrin Banse, Pablo Bottinelli, Joscha Hendricksen, Laura Kiehne, Youngung "Jeakwon" Sebastian Kim, Stefan Kirchhoff, Jannik Nowak, Ulrike Reinbott, Nora Ronge, Patrick "Two face" Seebacher, Sebastian Tessenow, Rosh Zeeba.

www.schauspiel-essen.de
www.unusualsymptoms.com

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